Jonas Jansen Mit offener Software gegen den globalen Überwachungsstaat Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. März 2018, Nr. 66, S. 22 Für viele Dienste, die wir täglich im Internet benutzen, gibt es kostenlose Open-Source-Alternativen / Doch wie verdient man damit Geld? Frankfurt, 18. März - Zwischen Olpe im Sauerland, Hamburg und Nürnberg arbeiten Entwickler daran, die großen amerikanischen Internetkonzerne Microsoft, Google oder Facebook zu ärgern. Denn wie diese mit den Daten ihrer Nutzer umgehen, stört Rafael Laguna. „Durch diese Anbieter verlieren wir die Hoheit über unsere Daten. Wir hinterlassen immer Spuren, auch wenn wir sie längst verlassen haben“, sagt Laguna. Er ist Chef von Open-Xchange, einem deutschen Software-Unternehmen, das kaum jemand kennt, obwohl seine Produkte von vielen Internetnutzern jeden Tag aufgerufen werden. Nur wissen sie nichts davon, dass Open-Xchange in fast jeder E-Mail steckt, die versendet wird. Der 55 Jahre alte Gründer von Open-Xchange ist ziemlich angriffslustig, und er muss es auch sein, schließlich entwickelt sein Unternehmen Konkurrenzprodukte zu den Internetgiganten. Die erste Entwicklung begann 1996 in Olpe, in der heutigen Form besteht das Unternehmen seit 2005. Dazwischen standen einige Unternehmenskäufe und -verkäufe. Laguna wurde Investor und ein reicher Mann. Er hielt das Unternehmen aber auch mit eigenem Geld am Leben und bezahlte zwischenzeitlich 60 000 Euro Gehälter im Monat aus eigener Tasche. Laguna ist zwar Geschäftsmann, aber eben auch Idealist. Sein Unternehmen Open-Xchange bietet praktisch genau das an, was man auch von Microsoft aus dem Office-Paket kennt: Ein E-Mail-Programm, Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Präsentationen, sowie einen Kalender und einen Datenspeicher. Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied: Die Technik von Open-Xchange basiert auf offener Software. Das bedeutet, dass niemand Lizenzgebühren für sie zahlen muss und sie damit jeder frei benutzen kann. Außerdem ist ihr Quellcode für jeden offen zugänglich und damit überprüfbar. Theoretisch könnten also Millionen Entwickler rund um die Welt daran arbeiten und sofort mitteilen, wenn sie eine Sicherheitslücke finden. Das folgt der Tradition in der Entwicklung des freien und offenen Internets, in dem Software für alle verfügbar ist und Fachleute überprüfen können, ob die Daten in Diensten wirklich sicher gelagert sind. Betriebssysteme wie Linux basieren darauf und überhaupt die erste Verbreitung von E-Mail-Servern in den frühen Jahren des Internets, als Laguna wie viele andere Entwickler auch an einer globalen Vernetzung gebastelt hat. Richtig Geld verdienen allerdings genau jene Unternehmen, die es verstanden haben, auf diesem Fundament eigene Software aufzubauen, deren Geheimnis sie schützen und eben nicht veröffentlichen. Internet-Silos nennt Laguna das, er sagt, dass auch Facebook, Amazon und Google zu 95 Prozent auf die sogenannte Open-Source-Software zugreifen und dann ihre eigenen fünf Prozent nicht freigeben. Was die großen Amerikaner mit ihren Diensten machen, verstünde man am besten mit einem Zitat aus dem Lied „Hotel California“ von den Eagles, sagt Laguna: „You can check-out any time you like, but you can never leave.“ Nie entkommen könne man ihnen. Dabei hätte man mit offenen Programmen eine bessere Kontrolle und könne seine eigenen Daten leichter von Anbieter zu Anbieter mitnehmen.   Nun kann man sich fragen, warum nicht jeder Internetnutzer dann einfach offene Software benutzt, wenn sie alles so viel besser kann und obendrein noch kostenlos ist. Eine Erklärung lautet, dass auch Open-Source-Software trotz der Schwarmintelligenz nicht frei von Fehlern ist. Denn nur weil sie theoretisch viele Entwickler überprüfen können, heißt das nicht, dass sie es auch tun. Fehlende Anreize können ein Grund dafür sein – nur aus Solidarität mit anderen Internetnutzern und ohne Gegenleistung wird es schwierig, so ein System aufrechtzuerhalten. Wer für seine Leistung bezahlt wird, so wie angestellte Entwickler, hat eine höhere Motivation, nach Fehlern zu suchen. So war gerade offene Software vor einigen Jahren besonders von einer Sicherheitslücke namens Heartbleed betroffen. Über diesen Programmfehler konnten private Daten wie Passwörter oder geheime Schlüssel ausgelesen werden. Ein Unternehmen wie Open-Xchange ist daher für die Verfechter der offenen Software ein doppelter Gewinn: Es kämpft für die Verbreitung von Open-Source und professionalisiert gleichzeitig die Entwicklung. Denn das Unternehmen will schließlich Geld verdienen und macht das auch recht erfolgreich. Seit neun Jahren wächst Open-Xchange um gut 45 Prozent im Jahr, es beschäftigt 220 Mitarbeiter, arbeitet profitabel und hat gut 55 Millionen Euro Risikokapital eingesammelt. Von den mehr als vier Millionen E-Mail-Servern, die über Open-Xchange betrieben werden, monetarisiert das Unternehmen zwar nur gut 100. Aber diese 100 Kunden zahlen dafür gut. Wer also E-Mail-Programme von der Deutschen Telekom oder Vodafone benutzt, wer 1&1 verwendet oder in Amerika Kunde des größten Kabelanbieters Comcast ist, nutzt Open-Xchange. Diese Plattformbetreiber für E-Mail-Zugänge haben häufig Millionen Benutzer, die schnell sauer werden, wenn ihr Postfach nicht richtig funktioniert. Der Wettbewerb ist hart, kostenlose Postfächer gibt es zahlreich und Google und Microsoft sind gut darin, Nutzer an sich zu binden. Weil E-Mail-Konten nicht zum Kerngeschäft gehören, aber trotzdem ordentlich verwaltet werden müssen, lagern die Telekom oder Vodafone den Betrieb komplett an Open-Xchange aus und bezahlen dafür. Die Telekomanbieter erwarten freilich einen reibungslosen Ablauf, denn sonst könnten sie selbst machen – die nötige Software ist schließlich kostenlos und lizenzfrei erhältlich. Trotz des Wachstums von Open-Xchange, läuft es für die Lobbyisten der offenen Software nicht immer rosig. Besonders öffentliche Verwaltungen in Deutschland entfernten sich zuletzt wieder von Open-Source-Programmen. Während Städte wie Barcelona in ihrer Smart-Coty-Strategie vollkommen auf offene Software setzen, möchte die Stadt München spätestens von 2020 an statt mit Linux wieder mit Microsoft arbeiten. Auch die Polizei in Niedersachsen plant diesen Schritt. Laguna ärgert sich über diese Entwicklung, denn er findet, dass gerade die öffentliche Hand Open-Source-Software fördern sollte. „Die Politik beklagt immer, dass wir den Anschluss verlieren, aber stärkt dann nicht den IT-Standort Deutschland“, poltert er. Mit offener Software könnten sich Behörden in Europa besser vernetzen, weil sie auf der gleichen Technologie aufbauen. Stattdessen gingen die Aufträge von Behörden und Regierungen an die ohnehin schon mächtigen und großen Amerikaner mit ihren Silos. Eine generelle Abneigung gegenüber amerikanischen Softwareunternehmen sollte man Laguna dennoch nicht unterstellen. Fast jedes Unternehmen, das er in seiner Karriere gegründet hat – angefangen hat er mit 16 Jahren – wurde von Amerikanern gekauft. Sein Antrieb entstammt vielmehr der Angst vor einem Überwachungsstaat. Laguna wuchs in der DDR auf, wo er sich schon als Kind ständig beobachtet fühlte. „Wir landen gerade in einem globalen Überwachungsstaat. Das möchte ich verhindern.“ © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Alle Rechte vorbehalten.